„Schwierige Kinder“ sind oft gefühlsstarke Kinder
Warum nicht nur Hort und Schule mit diesen Kindern häufig überfordert sind und was wir tun können
In vielen Betreuungseinrichtungen und Schulen wird das Verhalten von Kindern, die als „schwierig“ gelten, oft als Herausforderung für Erzieher und Lehrer wahrgenommen. Diese Kinder fallen durch intensive Gefühlsausbrüche, Impulsivität oder regelwidriges Verhalten auf. Insbesondere gefühlsstarke Kinder, die im Englischen auch als „deeply feeling kids“, „strong willed“ oder „spicy“ bezeichnet werden, haben oft Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren, was zu Wutanfällen, Trotz oder Rückzug führen kann. Schnell greifen Erwachsene dann zu Strafen oder Drohungen, in der Hoffnung, das Verhalten zu kontrollieren. Doch genau hier liegt das Problem: Strafen und Drohungen greifen bei diesen Kindern selten und verschlimmern meist das Verhalten sogar.
Gefühlsstarke Kinder – Emotionen außer Kontrolle
Warum Strafen und Drohungen nicht funktionieren
- Keine langfristige Wirkung: Strafen und Drohungen mögen kurzfristig eine Verhaltensänderung bewirken – das Kind hört auf, weil es Angst vor der Strafe hat oder die Drohung vermeiden will. Doch diese Maßnahmen greifen nicht an der Wurzel des Problems. Sie lehren das Kind nicht, wie es seine Emotionen regulieren kann oder wie es in der Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen kann. Stattdessen entsteht oft ein Teufelskreis: Das Kind reagiert erneut impulsiv, die Strafen werden härter, und das Kind entwickelt zunehmend Widerstand oder Angst.
- Verstärkung negativer Emotionen: Gefühlsstarke Kinder sind ohnehin schon von intensiven Emotionen überwältigt. Wenn auf einen Wutanfall mit einer Strafe reagiert wird, erlebt das Kind oft zusätzliche Gefühle wie Scham, Angst oder Wut. Dies verstärkt den emotionalen Druck und kann die Eskalation noch weiter vorantreiben. Anstatt sich verstanden und unterstützt zu fühlen, erlebt das Kind die Welt als unberechenbar und feindselig.
- Schwächt die Beziehung: Strafen und Drohungen können die Beziehung zwischen dem Kind und dem Erzieher oder Lehrer erheblich belasten. Kinder, besonders gefühlsstarke, brauchen in herausfordernden Situationen vor allem eine verlässliche emotionale Verbindung. Wenn sie stattdessen für ihr Verhalten bestraft werden, entsteht Distanz. Das Kind fühlt sich nicht verstanden, und das Vertrauen in die erwachsene Bezugsperson wird erschüttert. Diese emotionale Distanz kann das Verhalten des Kindes weiter verschärfen.
- Fehlende Selbstregulation: Kinder lernen durch Strafen nicht, ihre Emotionen zu regulieren. Anstatt zu verstehen, warum sie in einer Situation so stark reagiert haben und was sie beim nächsten Mal anders machen können, lernen sie nur, bestimmte Verhaltensweisen zu unterdrücken. Dies kann dazu führen, dass das Kind Gefühle als gefährlich einstuft und diese versucht nicht mehr zu fühlen (Gefühle abspalten), vor allem aber zu Scham und damitverbundenen negativen Glaubenssätzen und einer Identität als Problemkind, die oft auch dann noch bestehen bleibt, wenn die schwierigen Jahre längst Geschichte sind.
Was brauchen schwierige und gefühlsstarke Kinder?
Gefühlsstarke Kinder brauchen also keine Strafen, sondern Unterstützung. Sie benötigen Erwachsene, die ihnen helfen, ihre intensiven Emotionen zu verstehen und zu benennen. Es geht darum, eine sichere und vertrauensvolle Beziehung zu schaffen, in der das Kind sich gesehen und verstanden fühlt. Nur so kann es lernen, seine Gefühle zu regulieren und besser mit den Herausforderungen des Alltags umzugehen. Strafen und Drohungen verfehlen dieses Ziel und führen meist nur zu mehr Frust auf beiden Seiten.
Miteinander reden
Klingt gut, oder? Denn wenn man miteinander redet, finden sich vielleicht Lösungen, wächst das Verständnis, können Kinder und Betreuer/Erwachsene voneinander lernen. Natürlich nicht in der Hitze des Moments. Aber im Nachhinein, wenn die Gemüter abgekühlt sind, ist dafür wunderbar Gelegenheit. Vor allem aber auch vorbeugend, wenn klar ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Kind wieder die Kontrolle verliert oder sich provoziert fühlt. Dafür allerdings braucht es Beziehung auf Augenhöhe. Das heißt nicht autoritär kontrollierend sondern gleichwertig. Dazu Worte, die das Kind nicht beschämen, sondern es beruhigen. Nein, es braucht mehr als Worte. Es braucht eine gewisse Haltung. Das Vertrauen in das Gute im Kind, das es hervorzubringen gilt. Selbstregulierung lernt man nunmal nicht durch Strafen, sondern durch Co-Regulation. Das bedeutet, der Erwachsene strahlt Ruhe aus und Gefasstheit. Leider haben das wohl die wenigsten von uns zuhause vorgelebt bekommen und die Fachkraft, die das im Studium oder in der Ausbildung gelernt hat, ist ebenfalls schwer zu finden.
Die Lösung liegt also darin, neue Wege zu gehen, die Empathie, Verständnis und klare Kommunikation in den Mittelpunkt stellen – anstatt das Verhalten einfach zu unterdrücken.
Weiterführende Literatur und Einordnung
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es nicht ausreicht, neue Strategien zu lernen. Wenn Sie sich manipuliert, vorgeführt, provoziert oder sonstwie getriggert fühlen, werden Sie kaum ruhig bleiben können. Deshalb ist es so wichtig, neu zu verstehen, was hier wirklich passiert und das Kind dann mit anderen Augen zu sehen. Dann bleiben Sie automatisch ruhiger, weil Sie jetzt wissen, dass das Kind gerade nicht anders kann und Hilfe braucht.
Diese neue Perspektive zu lernen, empfehle ich sehr. Ich kann Ihnen gern dabei helfen. Wenns schnell gehen soll, kaufen Sie sich am besten das Buch „Ich bin anders, ich bin gut“ von Nora Imlau (erschienen 2022). Sehr umfassend, hilfreich und realitätsnah beschreibt sie dort gefühlstarke Kinder ab 6 Jahren. Der Vorgänger des Buches für kleinere Kinder: „So viel Freude, so viel Wut“ stammt von 2018 und wurde ein Spiegel-Bestseller.
Die Erkenntnisse aus beiden Büchern bestätigen für mich den modernen bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehungsansatz. Gefühlstarke Kinder benötigen letztlich keine Sonderbehandlung, auch wenn ihr Verhalten oft eine Herausforderung darstellt. Sie verlangen aber einen neuen, besseren Umgang, der letztlich nicht nur gefühlsstarken Kindern helfen könnte, sondern von dem alle Beteiligten enorm profitieren würden.